In Beziehung treten… das soll also Grundvoraussetzung dafür sein, sich (weiter-) entwickeln zu können?
In meinen Anfängen als Pädagogin und später als Coach und Beraterin, wusste ich noch nicht, inwiefern ich diese Grundannahme verstehen sollte. Erst mit der Zeit begriff ich, dass es in der Beziehungsgestaltung nicht ausschließlich darum ging, mit meinem Gegenüber in diese zu treten; nein! Es bedeutete, in erster Linie mit sich selbst in Beziehung zu treten. Das klingt jetzt sicher total einfach. So einfach war bzw. ist es aber gar nicht!
Zum Begriff „Beziehung“
Im Allgemeinen verbinden wir mit dem Begriff „Beziehung“, diese mit jemand anderen einzugehen; mit jemanden, der außerhalb unseres eigenen Seins steht. Das ist nur die halbe Wahrheit! Beziehung im übergeordneten Sinne bedeutet, dass wir zuerst einmal mit uns selbst in Beziehung treten (müssen), um im Kontakt zu anderen bestehen zu können.
Wie oft traf ich in meiner praktischen Arbeit auf Menschen, Jung oder Alt, welche alles andere als eine von Wertschätzung und Verständnis geprägte Beziehung mit sich führten. Das Unvermögen, sich und die eigenen Bedürfnisse und Wünsche wahrzunehmen, zu ihnen zu stehen und sich für sie einzusetzen, bestimmte somit auch die Beziehungsgestaltung zu Mitmenschen. Nehmen wir eine meiner jungen Coachees, welche ihre sensible Art nicht wirklich ausstehen konnte. Sie empfand diese als Schwäche und konnte diesen Wesenszug nicht akzeptieren. In der Beziehung zu anderen hielt sie sich deshalb an die vermeintlich Stärkeren, welche sie entweder nicht wirklich ernst nahmen oder sich dazu erkoren fühlten, sie beschützen zu müssen. Viel Raum für jene Wesensanteile, welche sich mit ihrer Sensibilität verbunden in ihr verbargen, gab es somit nicht.
Um offen, unbekümmert und frei in Beziehung zu treten, braucht es in erster Linie eine von Wertschätzung, Anerkennung und Empathie getragene Beziehung zu sich selbst!
Unsere Persönlichkeit ist sehr vielschichtig. Wir lernen im Kontakt zu unseren Eltern, Geschwistern, Verwandten, Freunden, Lehrern und Vereinstrainern aber schnell, welcher Teil annehmbar ist und welcher nicht. Persönlichkeitseigenschaften die gesellschaftlich nicht gern gesehen sind, werden zwischenmenschlich schnell sanktioniert. Aussprüche wie „Jetzt stell` dich nicht so an!“, „So wird nie etwas aus dir!“, „Streng dich einfach mehr an!“, „Willst du ewig die letzte sein!“ oder „Was soll bloß aus dir werden?“, „So will dich sicher keine/-r haben!“, „Ist das alles, was du auf die Reihe kriegst!“ zeigen uns, dass wir nicht in Ordnung sind und deshalb abwertend oder gar abweisend auf Teile unserer Wesenszüge reagieren.
Wenn wir uns hingegen auflehnen, uns zur Wehr setzen oder gar widersprechen, wird auch dies nicht gern gesehen. Für das eigene Autonomieverständnis und der Hoffnung, in der eigenen Persönlichkeit ganzheitlich angenommen zu werden, ist dies den wenigsten von uns tatsächlich gegönnt. Und so werden Teile unsere Persönlichkeit quasi abgespalten, um in der Beziehung zu unseren Eltern und Mitmenschen keine Sanktionierung erfahren zu müssen. Wer will schon ausgeschlossen, niedergemacht, belächelt, abgelehnt oder mit der emotionalen Kälte des Gegenübers konfrontiert sein? Jene Anteile unserer Persönlichkeit, die uns eben auch ausmachen, vegetieren mit leiser Stimme in der Abgespaltenheit vor sich hin. Mit den Jahren ist es jedoch nicht verwunderlich, dass sich die Stimme ihren Weg an die Oberfläche sucht und förmlich danach zu schreien beginnt, endlich wahrgenommen und anerkannt zu werden. Dies ist der Zeitpunkt, bei dem viele Menschen den Weg zu mir ins Coaching finden. In den Settings berichten mir meine Coachees, sich selbst gegenüber fremd zu sein; sich selbst nicht mehr zu verstehen. In Beziehung zu anderen Menschen entstehe das Gefühl, „falsch“ zu sein oder nur noch funktionieren zu dürfen resp. zu müssen, um sowas wie Annahme als Person zu erfahren. Das Selbstkonzept ist stark im Wanken. Ängste sind präsenter denn je. Auch andere Emotionen werden wach, welche nur mit Mühe und Not zu handeln sind, weil sie bislang in der Abgespaltenheit keine Stimme hatten und nun lautstark Handeln einfordern. Trauer aber auch Wut und Ärger, manchmal auch Ohnmachtsgefühle und Verwirrtheit, machen sich breit.
Beziehungsgestaltung als Mittel zum Weg zu einem positiven Selbstkonzept
In meiner Aufgabe als Coach bin ich dankbar, wenn Menschen in der eben beschriebenen Lebenslage den Weg zu mir finden. Es ist ein eindrücklicher Moment, wenn meine Coachees mich in ihr Leben einladen, mir von tiefsitzenden Sorgen, Ängsten aber auch Wünschen, Träumen und unerfüllten Bedürfnissen berichten. In solchen Momenten wird mir immer wieder deutlich, nach was es uns allen dürstet: nach der bedingungslosen Annahme unserer Person!
Wir möchten verstanden werden. Wir benötigen Wärme und Akzeptanz, um uns ganzheitlich in unserer Persönlichkeit entfalten zu können. Wenn wir dies nicht erhalten, geraten wir ins Wanken, hegen Zweifel an uns selbst, befürchten die schrecklichsten Konsequenzen und leiden.
Deshalb ist die Beziehungsgestaltung in meiner Arbeit als Coach auch so notwendig. Um meinen Coachees die Chance zu geben, mit sich selbst in Beziehung zu treten, braucht es ein Umfeld, welches wertschätzend, empathisch und authentisch auf Bedürfnisse reagiert. Keinerlei Wertung, keinerlei Bedingungen, keinerlei Erwartung. Meine Aufgabe als Coach ist es weder zu ziehen, zu lenken, zu schieben noch Lösungen aufzuzeigen.
Folgende Grundannahmen haben in diesem Zusammenhang also eine heilende Wirkung und ermöglichen eine integrierte Persönlichkeitsentwicklung:
Akzeptanz
- Zuwendung; was meint, sich frei von Beurteilung und Bewertung der Gedanken, Gefühle und Handlungen zu machen
- kein Argwohn; „Ich bin Ich“ und muss mich nicht anders geben als ich denke, sein zu müssen
Empathie
- Mitgefühl; alle Gefühle sind berechtigt und verdienen es, wahrgenommen und angenommen zu werden.
- Verständnis; alles hat Raum und darf diesen auch einnehmen
- Sprache; diese ist durch Wohlwollen, Fürsorge und Mitgefühl geprägt
Kongruenz
- Echtheit; das Zugeständnis zu dem zu stehen, wer man ist und sein will
- Zulassen; tiefsitzende Gefühle frei und ohne Scham oder Angst offen formulieren
- Kontakt; alle Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche in der Ganzheitlichkeit wahrhaftig ausleben
Der Psychologe Carl Rogers hat in seinem unermüdlichen Schaffen mit seiner klienten- resp. personenzentrierten Gesprächstherapie Persönlichkeitskrisen aller Art behandeln können und damit unter Beweis gestellt, dass
- Wertschätzung,
- Anerkennung und
- Authentizität
jene Kernelemente sind, welche es dem Menschen ermöglichen, in der Entwicklung wachsen und gedeihen zu können.